Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

falls Sie in letzter Zeit mal im Wald waren, konnten Sie vielleicht ein lautes Pfeifen hören. Das war vermutlich unsere Landesbischöfin (oder die „leitende Geistlichkeit“ Ihrer Landeskirche, nehmen wir also Baden pars pro toto, denn hier kriege ich etwas mehr mit), die damit auf die katastrophalen Kirchen-Austrittszahlen reagiert, die klar beweisen, dass neue Rekorde nicht immer ein Grund zur Freude sein müssen.
Nach den „Rekordjahren“ 2020 und 21 hat die badische Landeskirche alleine im Jahr 2022 gut 2 % ihrer Mitglieder durch Austritte verloren. Das demografische halbe Prozent (mehr Todesfälle als Taufen) ist da noch nicht mal mit eingerechnet.
Ich stelle mir nun drei mögliche Szenarien vor:

  1. Das letzte Jahr war ein statistischer Ausreißer und ab jetzt wird alles wieder
    gut. – Ok, wenn alle kurz gelacht haben, können wir zu den realistischeren
    Szenarien übergehen:
  2. Die Zahlen bleiben so hoch wie 2022, dann ist die badische Landeskirche in
    50 Jahren sozusagen alle. Der Letzte macht das Licht aus. – Oder:
  3. Die Zahlen steigen so weiter wie in den letzten drei Jahren. Das will ich lieber gar nicht ausrechnen …

Die Landesbischöfin reagiert nun mit der schönen Sentenz: „Nichts muss bleiben, wie es ist, und das eröffnet mir einen neuen Horizont.“ Ein großes Wort gelassen ausgepfiff … äh ausgesprochen. Damit auch wirklich nichts so bleibt wie es ist, hat die badische Landeskirche mal so richtig tief in die Portokasse gegriffen und eine – dreimal dürfen Sie raten – ja, eine Beratungsagentur engagiert. Diese funkt nun für viel Geld als eine Art dritter Macht den hektischen und nur selten synchronisierten Konsolidisierungs-Versuchen der Landessynode und des Oberkirchenrats dazwischen und macht so das Chaos perfekt. Zu allererst musste natürlich der Oberkirchenrat umstrukturiert werden, was aber kein Problem darstellte, denn die Damen und Herren im Oberkirchenrat saßen ja jahrelang alle im Homeoffice, mussten also sozusagen nur vom Wohnzimmer- an den Küchentisch umziehen.

Laut Pressemitteilung der Landeskirche bezeichnet die Landesbischöfin die Theologie als „Lebenselexier“ der Kirche, „weil sie helfe, sich auf die inneren Quellen zu besinnen und zugleich dazu ermutige, frei zu denken.“ „Die Theologie“ würde man zu den großen Fragen unserer Zeit ja schon gerne mal wahrnehmen. Statt dessen hört man aber nur die Theologen bzw. Theologinnen, z. B. die früh-pensionierte Ex-Bischöfin Margot K. (64), die uns als Gesellschaft rät, Erzieher doch zukünftig wie Professorinnen zu bezahlen. Ein ebenso schöner wie wohlfeiler Vorschlag einer Dame aus der oberen B-Gehaltsgruppe, deren Pension vermutlich höher ausfällt als das durchschnittliche Professoren-Gehalt. (N.B.: Um nicht destruktiv zu wirken ein Gegenvorschlag: Wie wäre es, wenn wir alle Kirchenmusiker so bezahlen wie unsere Bischöfinnen?) Aber vielleicht sind mit „Lebenselexier der Kirche“ ja auch die Äußerungen gemeint, bei denen sich unsere Geistlichkeit turbomäßig um sich selbst und um „ihre“ Kirche dreht. Als Stärke sieht Bischöfin Springhart, „dass unsere Kirche und unsere Gemeinde unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz zulässt“. Hier bei uns auf dem Land wird dabei vor allem der Distanzgrad eindrucksvoll erweitert. Pfarrstellen bleiben dauerhaft unbesetzt, Gemeinden werden zusammengelegt, Gemeindebüros geschlossen. Mit der Distanz klappt das, zumindest aus der Sicht vieler älterer (Noch-) Kirchenmitglieder, also schon mal ganz gut. Nun warten sie auf die sich eröffnenden neuen Horizonte und freuen sich darüber, dass jetzt schon nichts mehr so geblieben ist wie es mal war.
Immerhin, und das ist ja vor allem für uns ein kleiner Lichtblick, wird die Anzahl der hauptamtlichen Kantorate zumindest in Baden weniger stark zurückgefahren als es in anderen Bereichen passiert. Ob das genügt, um das oben genannte Szenario Wirklichkeit werden zu lassen? Das werden uns die neuen Horizonte sicher zeigen.
Bleiben Sie fröhlich
Ihr Carsten Klomp

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