Verschmäh die Welt!
Von Holger Wetjen
Der Lübecker Totentanz hat 1934 Hugo Distler zu seinem Totentanz inspiriert. Auch Bach und Schütz haben den Tod vertont. Erstaunlich: so unterschiedlich die drei Kompositionsanlässe waren, kamen die Komponisten doch zu einem lutherischen Akkord.
1424 schuf ein bis heute unbekannter Maler in Paris an der Friedhofsmauer des cimetière des Innocents den Totentanz: eine Allegorie des Todes in Form eines grinsenden Skeletts, das die Vertreter aller Stände in seinen schaurigen Reigen aufnimmt. Er ist entstanden in der Zeit der Pest: sie erforderte in Europa zwischen 1348 und 1351 allein 25 Millionen Opfer. Arm und reich starben an der Pest. Die Menschen sahen: vor dem Tode waren alle Stände gleich. Der Totentanz wurde in ganz Europa kopiert: 1439 in Basel in der Dominikanerkirche, um 1450 in der Loxstedter Marienkirche, 1463 in der Lübecker Marienkirche, 1485 in der Berliner Marienkirche, 1488-1501 in der Kirche Kermaria in Plouha (Bretagne). Er ist eine Warnung vor dem Weltsinn: „Fliehe das weltliche Vergnügen“, heißt es im Pariser Totentanz, „um gut zu sterben und lang zu leben!“
Fast wörtlich findet man diese Weisheit in Hugo Distlers Totentanz (op. 12, Nr. 2) wieder: Hugo Distler hatte den Totentanz der Lübecker Marienkirche fast täglich vor Augen. Als Kantor und Organist der benachbarten Jakobikirche. Auf dem Bilderreigen lädt ein hämisches Gerippe nacheinander die Vertreter aller Stände zum Tanz: Kaiser, Bischof, Edelmann, Arzt, Kaufmann, Landsknecht, Schiffer, Klausner, Ackerbauer, Jungfrau, Greis und Kind. 1701 hatte Anton Wortmann den Totentanz von 1463 retuschiert.
Hugo Distler hat ausgehend von diesem Bilderreigen für den Totensonntag 1934 seinen Totentanz komponiert: Er vertonte Verse aus dem Cherubinischen Wandersmann des Angelus Silesius von 1657 zu vierzehn Motetten und kombinierte diese mit einem Text aus der Feder des Historikers Johannes Klöcking (1883-1951): Verzichten ist Gewinn. So belohnt der Tod zum Beispiel den Klausner mit den Worten: „Du magst wohl fröhlich tanzen gehen!“
Hugo Distlers Werk ist stark an der gesprochenen Predigtsprache orientiert…