Von Birger Petersen
Die Geschichte der Orgel im 20. Jahrhundert wäre sicherlich in anderen Bahnen verlaufen, als dies der Fall gewesen ist, hätte ihr nicht eine umfassend gebildete Persönlichkeit die wegweisenden Impulse gegeben – eine Persönlichkeit, die es verstand, die dem vielschichtigen Instrument eigene Universalität zu konzentrieren und diese prägnant zu formulieren: Albert Schweitzer, geboren am 14. Januar 1875 in Kaysersberg im Elsass, gestorben am 14. September 1965 in Lambarene im Gabun, Doktor der Theologie, der Philosophie und der Medizin sowie nicht zuletzt Organist und Orgelsachverständiger, dessen Wirken auf einer Kulturphilosophie aus dem Geist des christlich-abendländischen Denkens fußte und in seinem humanistischen Habitus unverzichtbar für das Verständnis der Gegenwart ist und dessen 60. Todestag im Jahr 2025 ebenso zu begehen ist wie sein 150. Geburtstag.
Der im Oberelsass als Pfarrerssohn geborene Albert Schweitzer kam nach dem Besuch von Dorf- und Realschule in Günsbach und erstem Klavierunterricht beim Vater zu Verwandten ins ebenfalls elsässische Mulhouse, wo er bis 1893 das kaiserliche Gymnasium besuchte und ersten Orgelunterricht bei Ernst Münch erhielt. 1893 schlossen sich private Orgelstudien beim einflussreichen Pariser Organisten und Komponisten Charles-Marie Widor an, mit dem er sich von da an in intensivem Dialog insbesondere über die musikalische Exegese der Choralvorspiele Bachs befand…
Der Docteur
Von Olivier Achard
Da ich mehrere Jahre lang in der französisch sprachigen Schweiz Schauspiel studiert hatte, bevor ich nach Paris zog, gehörte ich schon
früh zu denjenigen Franzosen, die gut über Albert Schweitzer (1875–1965) informiert waren. Der berühmte Pastor, Arzt, Denker und Kirchenmusiker verkörpert nämlich wichtige Merkmale des Protestantismus, wie er in der
Schweizerischen Eidgenossenschaft verstanden und praktiziert wird. In Frankreich – mit Ausnahme des Elsass – wird Schweitzer fast
ausschließlich als der Humanist von Lambarene wahrgenommen, eine Figur in weißer Kleidung mit gleichfarbigem Tropenhelm und ei
ner Fliege.
Kurz nachdem ich mich 2010 in Strasbourg niedergelassen hatte, wurde mir das große Ansehen bewusst, das der Docteur – wie er in dieser Stadt genannt wird – im gesamten Elsass und natürlich auch im angrenzenden
Deutschland genießt: ein Phänomen, das im übrigen Frankreich kaum anzutreffen ist.