Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor einigen Jahren habe ich in einem FORUM-Text von meiner Beobachtung berichtet, dass im sog. Mainstream-Kino die Bösewichter merkwürdigerweise fast immer Fans klassischer Musik sind. Ob beim Drogendeal im großen Stil, beim Morden oder Foltern – gerne wird dabei dem Mozart-Requiem, Verdi-Opern oder auch Bachs Goldberg-Variationen gelauscht, während gleichzeitig die sympathischen Protagonisten (Kommissare oder ganz „normale“ Leute), immer als Popmusik-a n dargestellt werden. Erz-Bösewicht und Bach-Freund Hannibal Lecter („Das Schweigen der Lämmer“) befindet sich jedenfalls in bester, oder eigentlich müsste man sagen: in schlechtester Gesellschaft.
Das heftigste Beispiel für die Dämonisierung klassischer Musik habe ich einige Jahre nach dem Schreiben dieses Artikels in einem ansonsten nicht weitererwähnenswerten Film gesehen: Eine Filmfigur, die sich gerade eben noch begeistert über einen Pop-Song geäußert und mitgesummt hatte, zieht sich in der nächsten Szene zurück, legt eine Schallplatte (!) auf und beginnt unter Chopinschen Klavierklängen seine Mitbewohner umzubringen.
Sie ahnen es: Der Autor dieser Zeilen schaut tatsächlich nicht nur (aber auch) Filme von Wim Wenders oder Pedro Almodóvar, aber darum soll es hier gar nicht gehen. Statt dessen geht es um die GEMA, die den beschriebenen filmischen Vorgaben nun endlich auch Taten folgen lässt. Nicht in dem Sinne, dass ab sofort in sämtlichen deutschen Haftanstalten kostenlos klassische Musik gestreamt werden darf oder die Häftlinge gar mit BachMozartVerdiChopin aus dem Klassik-Radio zwangsbeschallt werden sollen. Aber insofern, als sie die Marginalisierung (von Dämonisierung möchte ich bei der GEMA noch nicht sprechen) klassischer Musik jetzt in klingende Münze umsetzen möchte.
Wobei – ein bisschen komplizierter ist es schon: Eigentlich soll bei der nächsten GEMA- Mitgliederversammlung ein neuer Verteilungsschlüssel beschlossen werden und zwar von den GEMA-Mitgliedern höchstselbst, denn die GEMA hat ihren gigantischen Verwaltungsapparat ja zuvörderst, um die von ihren komponierenden, textenden oder verlegenden Mitgliedern erteilten (Inkasso-)Aufgaben zu erfüllen. Dies tut sie eben nach einem bestimmten Schlüssel und der sah, vereinfacht gesagt, bisher vor, dass die sog. Ernste Musik als Kulturgut besonders gefördert und daher die sog. Ernste Musik nach einem anderen Schlüsselvergütet wird als die sog. Unterhaltungsmusik.
Wie das im Einzelnen geschieht, ist sehr kompliziert und natürlich kann man hinterfragen, ob die Unterscheidung zwischen Ernster und Unterhaltungs-Musik noch zeitgemäß ist, wenn sie es denn je war. Letztlich stand hinter dieser Unterscheidung aber die Intention, zwischen der „Produktion“ von Musik, die (leider) nur für einen kleinen Teil der Menschen zum täglichen Hör-Angebot zählt, und der „Produktion“ der allgegenwärtigen populären Musik (wozu große Teile z.B. des Jazz-Bereiches auch nicht gehören) zu unterscheiden, da eine auskömmliche Vergütung für „E-Komponisten“ rein nach Aufführungszahlen ansonsten nicht einmal in Ansätzen möglich wäre. Und genau dies soll sich nun ändern.
Die Komponistin Dr. Charlotte Seither, Mitglied im Deutschen Musikrat und im GEMA-Aufsichtsrat, fasst die Auswirkungen einer solchen Änderung im Fazit eines von ihr verfassten längeren Kommentars so zusammen:
„Mit dem Reformvorhaben der Sparte E gibt die GEMA eine Reihe wichtiger
Grundsätze auf. Sie verschiebt den Fokus vom „Werk“ auf die „Werknutzung“. Im Kern vollzieht sie damit einen shift von der Vorstellung, dass ein Werk bereits in sich einen Wert hat. Sie folgt nun dem Gedanken, dass erst die Nutzung festlegt, ob und in welchem Maß ein Werk förderungswürdig ist. Die kategorielle Unterscheidung zwischen Werken der Sparte U und E gibt die GEMA dabei im Wesentlichen auf.
Die Umstellung auf das Inkasso-Prinzip führt dazu, dass mittlere und kleine Kulturveranstaltungen (freie Szene, Veranstaltungen in Musikhochschulen, Konzerte im ländlichen Raum etc.) nur noch Kleinstausschüttungen generieren können.
Insbesondere junge Komponierende werden dabei auf Jahre hinaus keine Einkommenserwartungen mehr haben, die ihnen einen nachhaltigen Berufseinstieg ermöglichen.“
Oder anders ausgedrückt: Die Komposition nicht populärer Musik werden sich zukünftig nur noch Menschen leisten können, die ihr Einkommen durch andere Geldquellen generieren.
Immerhin darf man sich für die bisher schon erfolgreichen Pop-Musik-Produzenten freuen, die künftig mit noch fetteren Tantiemenschecks der GEMA rechnen können. Allen anderen Komponistinnen und Komponisten bleibt bis auf weiteres ja noch der Drogen-Deal im großen Stil – siehe oben.
Danken wir also der GEMA und bleiben fröhlich,
Ihr
Carsten Klomp