Bachfest Leipzig 2018
Von Herbert Glossner
Ein dickes Buch mit 352 Seiten war dem Leipziger Kantaten-Ring gewidmet, mit klugen Kommentaren, sämtlichen Texten, Künstlerbiografien und -fotos, überdies farbig brillant bebildert. So präsentierte das Bachfest Leipzig 33 Kirchenkantaten von BWV 1 bis 182 in zehn Aufführungen an einem Wochenende. Repräsentativ, so sollte auch dieser Griff nach den Sternen der Bach-Interpretation heute sein, ein Ergebnis, das aus der Initiative und den Vorschlägen dreier kompetenter Bach-Experten entstand: Sir John Eliot Gardiner, Präsident des Bach-Archivs, dessen Direktor Peter Wollny und Michael Maul, nach einem Jahr als Dramaturg soeben zum Intendanten des Bachfestes ernannt. Die Titelseite des Ring-Buches zieren auch schon die Namen der vier Dirigenten, die für Gesamteinspielungen von Bachs Kantatenwerk stehen – Gardiner, Koopman, Suzuki, Rademann (der als Nachfolger von Helmuth Rilling die „Gaechinger Cantorey“ – nomen est omen – zu einem historisch orientierten Ensemble umgeformt hat). Im Buch und aktiv kam auch Thomaskantor Gotthold Schwarz zu Ehren, der mit den frisch und diszipliniert singenden Thomanern ebenso das Abschlusskonzert mit der h-Moll-Messe übernahm. Und die als „Kantaten-Ring plus“ etikettierten Nachtkonzerte in der historisch-heutig wieder errichteten Universitätskirche St. Pauli mit Universitätsmusikdirektor David Timm, dem Universitätschor und dem Pauliner Barockensemble brauchten sich da nicht zu verstecken. Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit, der Actus tragicus BWV 106, wurde in seiner stillen Konzentration geradezu ein Kontrastentwurf zum vorausgehenden Abschluss des Kantaten-Rings in der Nikolaikirche mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists unter Gardiner. Wie wurde da prächtig-festlich musiziert, in heftig überzogener Eile der Eingangschor zu BWV 19 Es erhub sich ein Streit, dann doch wieder Ruhe, lange Fermaten, markante Männereinsätze, hervorragende Solostimmen, bis zum mächtigen Schlusschoral von BWV 140 Wachet auf, ruft uns die Stimme. Ton Koopman (Amsterdam Baroque Orchestra & Choir) und Masaaki Suzuki (Bach Collegium Japan) begeisterten mit „ihrem“ Bach – zum Glück nicht in der digitalisierten Perfektion der CD-Aufnahmen. Hans-Christoph Rademann überzeugte schon im Gottesdienst auf dem Markt, in der Nikolaikirche noch mehr mit seinem delikaten Instrumentarium, dem intensiv gestaltenden Chor und einem Mut zur Langsamkeit etwa in der Sinfonia zu BWV 21 Ich hatte viel Bekümmernis (deren strahlender Schlusschor nach langem Beifall wiederholt wurde). Die glückliche Entscheidung, dass zwischen die Abfolge der Kantaten jeweils Motetten gesetzt wurden, lösten alle Beteiligten stilgerecht ein; die Stücke stammten meist aus dem Florilegium Portense, jener berühmten Sammlung von 1618, aus der noch zu Bachs Zeiten gesungen wurde…