Messe zum Luther-Jahr

Michael Schütz: LUTHERMESSE für Solisten, Chor, Streichorchester und Band.
Von Reinhart Lange

Zur Komposition
Ab 1521 finden in Wittenberg und anderen Städten Messgottesdienste in deutscher Sprache statt. Martin Luther ist nach der Veröffentlichung seiner Thesen 1517 zwar einer der Vordenker dieser epochalen Erneuerung, er selbst aber hat zu diesem Zeitpunkt noch keine Messe in deutscher Sprache gehalten. Pfingsten 1523 veröffentlicht er die Schrift „Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde“. Im Blick sind die Tageszeitengebete, es geht um allgemeine Regeln für die Gestaltung des gottesdienstlichen Lebens in der Gemeinde. Der Sprache kommt dabei eine besondere Rolle zu. Für den Reformator ist sie in einer konkreten Situation an konkrete Adressaten in konkreten Worten gesprochen selbst ein Teil des Heilsgeschehens. Erst da, wo das Werk Christi zur Sprache gebracht wird, kommt es zur Wirkung, kann es verstanden und geglaubt werden. Das Wort ist Gnadenmittel, es darf nicht als „werck“ im Gottesdienst verstanden und gebraucht werden, um Heil zu erwerben. Später spricht Luther gar von „Heulen und Lärmen, mit dem nur die Wände angebläht“ würden.

Im Dezember desselben Jahres veröffentlicht Luther auf Drängen des Zwickauer Pfarrers Nikolaus Hausmann das „Formula missae et communionis pro Ecclesia Vuittembergensi“, also das Messformular für die Kirche zu Wittenberg. Die Messe steht nach dieser Ordnung noch gänzlich in der lateinischen Sprache, nur die Predigt ist auf Deutsch zu halten. Erst drei Jahre später, 1526, veröffentlicht Luther seine Ordnung der Deutschen Messe. Interessant ist nun genau diese Situation, in der Luther zwar deutsche Messen kennt, sich aber dennoch bewusst für die lateinische Sprache in der Liturgie entscheidet. Offensichtlich möchte er keine schnellen, radikalen Veränderungen, ihm ist zunächst daran gelegen, im Interesse der Kontinuität an bestehenden Formen anzuknüpfen. Und so hält er einerseits an den überlieferten lateinischen Kanongebeten fest. Gleichzeitig aber beginnt er ab 1523 mit der Komposition und der Dichtung von Kirchenliedern in deutscher Sprache. Das bedeutet, dass er eine stärkere Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst über die Musik und das Singen im Blick hatte. Die vorliegende „Luthermesse“ knüpft an dieser Keimzelle an. Auch sie geht vom lateinischen Messtext aus und lässt ihn mit den musikalischen Möglichkeiten unserer Zeit lebendig werden. Die „Beteiligung der Gemeinde“ geschieht auch hier mittels Lieder des Reformators in deutscher Sprache, die vom Chor gesungen werden und zu denen auch die Konzertbesucher eingeladen sind. Es ist dem Komponisten wichtig, dass sich im Singen dieser Lieder der konzertante Vortrag des lateinischen Messtextes hin zum Gottesdienst öffnet! Der Messtext ist in 22 inhaltliche Abschnitte gegliedert, die mit unterschiedlichen musikalischen Stilmitteln umgesetzt werden. Formale, harmonische und rhythmische Elemente aus Rock, Pop und Jazz verschmelzen mit melodischen, instrumentatorischen und kompositionstechnischen Mitteln aus Barock, Klassik und Romantik zu einer individuellen Tonsprache. Neben den fünf von Chor und Gemeinde gesungenen werden zwei weitere Lieder von Martin Luther kompositorisch verarbeitet. „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Tenor solo) wird im Benedictus (Nr. 19) im Parallelklang mit dem Solo-Sopran („Benedictus qui venit in nomine Domini“) und den Achtelläufen der ersten Violine, die den Heiligen Geist symbolisieren, zu einer Ausformulierung des trinitarischen Gedankens. Im Agnus Dei (Nr. 22), dem Schlussstück der Luthermesse, findet die Friedensbitte „Dona nobis pacem“ des Chores in der Melodie von „Wir glauben all an einen Gott“ ihr Ziel. Die Intention der Luthermesse ist stets eine plastische Umsetzung des Messtextes; das Geschriebene soll erlebbar werden. Dies geschieht auch mit der Haltung, sich in einer zeitgemäßen Form auf die Grunddimensionen von Kirche zu beziehen: Gemeinschaft, Glaubensbezeugung, Gottesdienst und Diakonie…

 

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