Von Martin Kohlmann
Die Toccata in F-Dur aus der fünften Orgelsinfonie von Charles-Marie Widor gehört zweifelsfrei zu den beliebtesten Orgelstücken überhaupt. Viele Organistinnen und Organisten möchten die Toccata gerne spielen, für Trauungen und besondere Anlässe wird das Stück oft gewünscht. Jedoch stellt es die Ausführenden auch vor Schwierigkeiten: die Toccata gilt als „technisch schwer“ und schon beim ersten Anblick der Noten fällt auf, dass man als Spieler hier offenbar „viel zu tun“ hat. Mein Text will das Stück in dem Sinne entmystifizieren, dass ein leichterer Zugang zu einer Einstudierung bzw. Aufführung gelingt. Insbesondere will ich aufzeigen, wie ein Stück wie Widors Toccata gewinnbringend geübt werden kann, so dass sich der Übeprozess effizient gestaltet, das Stück lange im Gedächtnis bleibt und Aufführungen Erfolg haben.
Gleich zu Beginn will ich klarstellen, dass sich mein methodischer Ansatz nicht auf das sich ständig wiederholende Bewegungsmuster bezieht, das fast die ganze Zeit in der rechten Hand und nur gelegentlich in der linken Hand erklingt. Die im Leggiero auszuführenden Akkordbrechungen adäquat umzusetzen, ist eine technische Anforderung, die zwar nicht unter schätzt werden sollte, die beim Vorhandensein einer hinreichend elaborierten Motorik aber auch keine vordergründige Schwierigkeit des Stücks darstellt. Die notwendige Motorik kann nach meiner Auffassung sogar heranwachsen, wenn der Notentext auf einer anderen Ebene zuvor richtig verstanden wurde. Das soll heißen: Wer ausprobieren möchte, ob er das Stück erreichen kann, sollte nicht zuallererst auf den bewegungstechnischen Aspekt fokussieren – und sich möglicherweise nach dem ersten Anspielen vom zehn Seiten langen Notentext in der Leduc-Ausgabe demotivieren lassen. Bei analytischer Betrachtung fällt das Stück nämlich auf einige simple Gerüstsätze zurück, die üblicherweise als (Satz-)Modell bezeichnet werden…