Arbeit in der Krise

Freiberufliche Tätigkeit in der Krise
Von Matthias Horn-Ostertag
Wenn Sie, liebe Kirchenmusiker*innen, diesen Beitrag lesen, werden von der Abgabe dieses Beitrages an zwei Monate vergangen sein, in Coronazeiten eine halbe Ewigkeit. Durch Corona ändern sich die Bedingungen unseres Lebens und Arbeitens im Wochenrhythmus. Alles Vorausschauende ist wagemutig. Freiberufliche Musiker, für die ich hier eine Lanze brechen möchte, sind Risiken gewöhnt. Niemand weiß im Voraus, wieviel Arbeit und  Einkommen er im nächsten oder übernächsten Jahr haben wird. Aber im Laufe von Jahren kann man in etwa abschätzen, wie sich das Leben gestalten läßt, mit schöner Musik, Unterrichten und Privatleben. Wir sind flexibel und kommen zurecht. Es gibt gute Jahre und weniger gute, Klagen hilft nicht, Arbeiten ist besser. Engagement in der Arbeit zahlt sich aus. Und unsere Arbeit erfüllt uns mit großer Freude. Nun, in der Corona-Krise, ist vieles anders. Wer den Lebensbedarf nicht über das Unterrichten, andere Einnahmequellen und/oder mit dem Einkommen des/der Lebenspartners(in) absichern kann, dem droht über kurz oder lang der finanziellen Absturz. Hinzu kommt der Verlust des Musizierens miteinander für ein anwesendes Publikum und alles Glück, was damit zusammen hängt. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich eine Kulturlandschaft herausgebildet mit Instrumentalisten und Sängern, aber auch Instrumentalisten und ganzen Orchestern, die sich  darauf spezialisiert haben, Kirchenmusik zu musizieren und diese stilsicher und auf hohem Niveau aufzuführen. Es entstand vielerorts eine sehr vertrauensvolle und fruchtbare Zusammenarbeit mit den Kantoren*innen. Nicht zuletzt die historische Aufführungspraxis hat das Vorgängermodell, dass örtliche Opernorchester und Opernsänger nebenbei auch Oratorien sangen und spielten, zugunsten der jetzigen Praxis abgelöst. Diese musikalische Landschaft ist nun bedroht, je länger das Konzertverbot besteht. Die Folgen sind nicht absehbar. All das ist bekannt, der Unterschied liegt zwischen Wissen und Erleben. Wir Musiker müssen feststellen, dass wir entgegen allen Äußerungen von politischer oder kirchlicher Seite nicht systemrelevant genug sind. Die Nothilfe- und Fördermaßnahmen des Staates sind selten für uns angepasst, sie folgen der Realität der Wirtschaft. Nur sechs von sechzehn Bundesländern gewähren überhaupt entweder pauschal oder für maximal drei Monate einen Beitrag zu den Lebenshaltungskosten. Der Bund und alle anderen Länder helfen nur bei erwiesenen Liquiditätsproblemen die Betriebskosten zu übernehmen. Dieser Flickenteppich föderal unterschiedlicher Hilfen ist ungerecht, eine einheitliche Unterstützung in angemessenem Ausmaß nicht in Sicht. Spätestens ab Juni droht für alle Musiker ohne Vermögen, die auf Konzerte angewiesen sind, Hartz IV. Das bedeutet die Durchleuchtung des
Lebensstandards durch die Behörden und das Herunterfahren des bisherigen Lebens auf ein Sockelniveau. Das ist entwürdigend und wirft die Lebensplanungen vieler über den Haufen. Es ist eine Ohrfeige für alle Musiker und Künstler und eine Warnung an alle Jüngeren, künstlerische Berufe nicht zu ergreifen. Der Deutsche Musikrat hatte im März die Kirchen dazu aufgefordert, Ihren Beitrag zur Erhaltung der kulturellen Landschaft zu leisten…