Komponisten

Nicht mehr neu und noch nicht alt

Die Kirchenmusik von Helmut Bornefeld (1906-1990)
Von Matthias Wamser

Dieser Aufsatz ist keine Werbung für einen einzelnen «Helden», sondern ein Beitrag zur Wahrnehmung der Musik einer ganzen Generation, einer Musik, die heute als «nicht mehr neu und noch nicht alt» gilt, weshalb ihr nur selten die Chance eingeräumt wird, ihre unverwechselbaren Farben und ihre Vitalität zu zeigen. Nein! Hier erfolgt kein Bekehrungsversuch mit dem Ziel, möglichst viele Leserinnen und Leser mögen in naher Zukunft hauptsächlich oder zumindest regelmässig Musik des porträtierten Komponisten aufführen. Ebenso geht es in diesem Artikel nicht um Entdeckerstolz, der mit heroischer Geste einen „zu Unrecht Vergessenen“ auf den Schild heben möchte, auch nicht um den Versuch, aus Anlass eines runden Geburts- oder Gedenktags mit einer gelehrten „Leben-und-Werk“-Studie klaffende Bildungslücken zu schliessen. Es soll ausserdem keineswegs der Zweck verfolgt werden, durch ein Sympathisieren mit mutigen Aufbrüchen früherer Zeiten die empfundene eigene Fortschrittlichkeit unter Beweis zu stellen oder mit einem leicht verfügbaren Patentrezept die Welt (oder zumindest einen Teil davon) zu retten. Stattdessen will der Autor dieses Aufsatzes vor allem einige praktisch erprobte musikalische Konzepte vorstellen. Diese können als behutsam erwogene Alternative zum gängigen Repertoire die Farbigkeit des musikalischen Angebots erhöhen; manche von ihnen nutzen Besetzungen, für die sonst nur wenig Literatur vorhanden ist, manche zeichnen sich durch Variabilität aus: Sie ermöglichen eine Anpassung an unterschiedliche Aufgaben bzw. Aufführungsmöglichkeiten, indem einzelne Sätze frei kombiniert oder die Stimmen eines Satzes verschiedenen Stimmlagen und/oder Instrumenten zugewiesen werden können.

Bornefelds Weg zum „Choralwerk“
Nach seinem Studium mit den Hauptfächern Tonsatz und Klavier war Helmut Bornefeld ab 1931 in seiner Heimat Esslingen am Neckar als Klavierlehrer sowie als Chor- und Ensembleleiter tätig. Die von ihm gegründeten Ensembles „Esslinger Kammerchor“ und „Esslinger Spielgruppe“ unterhielten eine eigene Konzertreihe, in der neben Musik aus dem 17./18. Jahrhundert frühe Kompositionen Bornefelds und Werke von Carl Orff, Paul Hindemith, Igor Strawinsky und Joseph Haas aufgeführt wurden. Obwohl einige der Konzerte in Kirchen stattfanden, obwohl Bornefeld bereits ab 1929 erste Orgelwerke komponiert hatte und manche seiner Konzertkritiken aus der Esslinger Zeit auf eine intensive Beschäftigung mit Orgelbau und Orgelmusik schliessen lassen, deutete zunächst nichts darauf hin, dass er für den grössten Teil seines Berufslebens als Kantor, Organist und Orgelsachverständiger der Evangelischen Landeskirche tätig werden sollte…