Seniorenchorleitung – ein relevantes Feld der Kirchenmusik1
Von Kai Koch
Die Gründung zahlreicher Seniorenchöre innerhalb der deutschen Chorlandschaft,2 die Veröffentlichung von Seniorenchorbüchern3 und auch die Etablierung vieler Fort- und Weiterbildungsangebote4 sind nur einige von vielen Beispielen, die die Relevanz der Disziplin Seniorenchorleitung belegen.
Theoretische Grundlagen
Definition Seniorenchor – GenerationschorZu Beginn muss eine für die Konzeption von Seniorenchören bedeutsame Definition erläutert werden. Man kann zwischen Chören unterscheiden, die entweder speziell für ältere Menschen gedacht und konzipiert sind, oder solchen, die lediglich ein relativ hohes Durchschnittsalter aufweisen, sich selbst aber nicht als Seniorenchor bezeichnen würden. Seniorenchöre singen meist mehrstimmig und sind häufig als solche deklariert oder tragen einen entsprechenden Namen (z. B. »Silberlocken«, »German Silver Singers«5 oder »Mettmanner Chor 60+«6). Einige Ensembles haben ein Mindestalter festgelegt; das Gros der SängerInnen ist im dritten und ggf. vierten Lebensabschnitt. Es werden eigene chorische Ziele verfolgt (z.B. Repertoireerarbeitung, Probenfortschritte etc.), wodurch eine Abgrenzung zu Singgruppen mit oft ganz anderen Zielsetzungen vorgenommen werden kann. Chöre, die zwar ein hohes Durchschnittsalter aufweisen, aber nicht explizit als Chor für ältere Menschen benannt sind, könnten als Generationschor bezeichnet werden; sie bestehen häufig seit längerer Zeit und wurden nicht speziell für ältere Menschen konzipiert. Meist sind solche Chöre gewissermaßen in die Jahre gekommen und haben wenig sängerischen Nachwuchs, sodass das Durchschnittsalter immer weiter steigt. Nicht selten versuchen Generationschöre, durch Neukonzipierung und Änderung des Selbstverständnisses für potenziell neue SängerInnen wieder attraktiv zu werden,7 um sich zu verjüngen und an frühere Zielsetzungen und Geleistetes anzuknüpfen.
Seniorenchorkonzeptionen
Auf den ersten Blick suggeriert der Begriff Seniorenchor vielleicht eine ganz bestimmte Art von Konzeption, die von vielen leider immer noch als defizitär angesehen wird. Mit dem Blick auf das im Abschnitt »Netzwerkarbeit« (s. u.) vorgestellte Netzwerk zeigt sich allerdings eine enorme Bandbreite, die kein einheitliches Bild von Seniorenchören vermittelt. Die interindividuellen Unterschiede und Bedürfnisse älterer Menschen bilden sich eben auch in den vielseitigen Konzeptionen von Chorangeboten ab. Auf der Homepage singen- im-alter.de sind viele verschiedene Formate explizit für ältere Menschen zu finden, z. B. gemischte Chöre, Männerchöre, Frauenchöre, Chorangebote von Alteneinrichtungen, Auswahlchöre, projektorientierte, intergenerationelle Chöre, Rock- und Popchöre, Improvisationschöre, Chorangebote für Menschen mit Demenz und Tanzchöre.
Stimmentwicklung im Alter
An dieser Stelle sollen als Basis für die stimmbildnerische Praxis nur die wesentlichen altersbedingten stimmlichen Veränderungen aufgelistet werden, ohne sämtliche Phänomene detailliert mit Anspruch auf Vollständigkeit zu beschreiben. Die folgende Auflistung bezieht sich auf grundlegende Publikationen, die zur inhaltlichen Vertiefung sehr empfehlenswert sind.8 Altersbedingte stimmliche Veränderungen äußern sich beispielsweise im Kontext Atmung (Verminderung der Atemexkursion, Einschränkung der Tonhaltedauer), Kehlkopf (stärkere Verknöcherung, Elastizitätsverlust, Senkung des Kehlkopfes durch Gewebeerschlaffung), Stimmlippen (Degeneration der Fasern, Erschlaffung, inkompletter Glottisschluss), Vibrato, Einschränkung der Tonhöhe und des Ambitus, Registerausgleich, Schleimhäute, Speichel, Stimmqualität u. v. a. m. Grundlegend ist bei der altersbedingten Stimmentwicklung jedoch zu berücksichtigen, dass sich das stimmlich-biologische und das kalendarische Alter stark unterscheiden können9 bzw. auch der Trainingszustand dabei eine entscheidende Rolle spielt…