Singen und Musizieren im Alter – Kirchenmusikgeragogik
Von Kerstin Schatz und Kai Koch
„Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen“ (Eph 5,19), so fordert der Schreiber des Epheserbriefes bereits Ende des 1. Jahrhunderts alle Christen zu einer frühen Form der Kirchenmusik auf. Kirchenmusik befindet sich seit dieser Zeit in einem andauernden Entwicklungsprozess und zeigt sich heute so vielgestaltig und umfassend wie „kaum ein anderer musikalischer Bereich“ (Deutsches Musikinformationszentrum, 2017). Nach Weiterentwicklungen in den Bereichen Kinderchor, Gospelchor und christliche Popularmusik scheint angesichts der aktuellen konfessionsübergreifenden Studie zur Mitgliederentwicklung (Gutmann & Peters, 2020) eine erneute Ausdifferenzierung des Berufsbildes notwendig zu sein: Bis zum Jahr 2060 werden laut den Wissenschaftlern des Freiburger Forschungszentrums Generationenverträge (FZG) mehr Alte als Junge Mitglied in den 27 römisch-katholischen Diözesen und 20 evangelischen Landeskirchen sein; die Kirchen werden mehr Hochaltrige zu ihren Mitgliedern zählen als bisher und die Gesamtanzahl der Mitglieder nimmt in beiden Kirchen deutlich ab[1]. Der für Gesellschaft und Kirche prognostizierte demografische Wandel wird im Laufe der nächsten Jahre auch im Arbeitsfeld Kirchenmusik verstärkt bemerkbar sein und lässt vermutlich die Disziplin „Musikgeragogik“ bzw. die Spezifizierung „Kirchenmusikgeragogik“ als neue Disziplin für Kirchenmusiker*innen von Bedeutung werden. Die bewusst praktizierte kirchenmusikalische Bildungsarbeit mit Menschen ab 60 Jahren ist daher Thema eines aktuellen Promotionsvorhabens an der Universität Vechta. Im Rahmen eines qualitativen Promotionsvorhabens soll erstmals untersucht werden, ob und in welcher Weise älteren Menschen an hauptberuflichen Kirchenmusikstellen in Deutschland aktives Musizieren ermöglicht wird. Es werden die Besonderheiten und Gelingensbedingungen der kirchenmusikalischen Arbeit mit älteren Erwachsenen erforscht sowie Möglichkeiten bzw. Grenzen von Kirchenmusikgeragogik im Kantorenamt herausgearbeitet. Den Ausgangspunkt für dieses Promotionsvorhaben bildet eine online-Umfrage unter den evangelischen und katholischen hauptberuflichen Kirchenmusiker*innen in Deutschland, deren Ansatz und Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden.
Online-Umfrage zu musikeragogischen Angeboten
Aufbau und Inhalt
Der online-Fragebogen wurde mithilfe der Software „Qualtrics“ erstellt und beinhaltet vier Hauptbereiche mit insgesamt 12 Fragen. Nach der Erhebung persönlicher Merkmale (Geschlecht, Alter, höchster kirchenmusikalischer Studienabschluss) werden die Befragungsteilnehmer*innen im zweiten Teil um Angaben zu ihrem Arbeitsumfeld (Großstadt, eher städtisch geprägt, eher ländlich geprägt) und zu Merkmalen ihrer Stelle gebeten (Stelle innerhalb der römisch-katholischen bzw. evangelischen Kirche, Landeskirche bzw. Diözese, A- bzw. B-Stelle, übergemeindlicher Dienstauftrag, inhaltliche Sonderbeauftragung, Teilzeitstelle, Diasporasituation). Der dritte Abschnitt des Fragebogens widmet sich der Thematik, ob und in welcher Form Erwachsene ab 60 Jahren in die kirchenmusikalische Arbeit der Hauptberuflichen eingebunden sind bzw. vor der Pandemie eingebunden waren. Prognostiziert wird eine Halbierung der Mitgliederzahl bis zum Jahr 2060. Sie ist zu einem Drittel auf den demografischen Wandel und zu zwei Drittel auf kirchenspezifische Faktoren (Bereitschaft zur Taufe, Ein- und Austrittsverhalten) zurückzuführen. Diese sind im Zusammenhang mit Kirchenmusikgeragogik wegen der Aspekte Gemeindeaufbau und Mitgliederbindung ebenfalls relevant, können hier aber nicht näher ausgeführt werden…