Glaubens-Sachen

Glaubens-Sachen. (Nicht nur) protestantische Anmerkungen zur Kirchenmusik im frühen 21. Jahrhundert
Von Birger Petersen.

In den letzten Jahren – in einer Zeit, in der die Kirchenmusik vielerorts zum Schweigen verdammt war, weil eine Pandemie ihre Ausübung unmöglich gemacht hat – war die steigende Frequenz an Äußerungen zu beobachten, was denn die Kirchenmusik sei. Und das ist nur nachvollziehbar: Die Jahre 2020 und 2021 waren nicht zuletzt für die Laienmusizierenden in der Kirche eine Herausforderung und für alle Verantwortlichen eine Zeit der Selbstvergewisserung, oft genug auch der Rechtfertigung der eigenen Positionen.  Nun wurde über eine Bestimmung, was denn nun geistliche Musik, was Kirchenmusik überhaupt sei, schon immer und bisweilen heftig gerungen. Die Beiträge der letzten Jahre unterscheiden sich allerdings in Bezug auf die notwendige Einbeziehung der virtuellen Perspektive doch erheblich von älteren Stellungnahmen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit digitalen Komponenten für die Kirchenmusik bleibt ein Desiderat – aber ihr notwendigerweise vorgeschaltet sein muss eine ontologische Orientierung: Was ist Kirchenmusik überhaupt?
Dabei geht es im Folgenden um Positionierungen zur Kirchenmusik, weniger um kirchenmusikalische Positionen: Diese könnten (als Position innerhalb der Kirchenmusik) auch künstlerische Äußerungen sein, Kompositionen oder Interpretationen. Der Fokus der Auseinandersetzung liegt eher auf theoretischen Äußerungen der letzten Jahre, die eine Haltung zur Kirchenmusik artikulieren und die aus verschiedenen Richtungen der protestantischen Kirche an alle mit Kirchenmusik Befassten herangetragen werden. Dass schließlich eine katholische Position artikuliert wird, möge der persönlichen Situation des Autors angelastet werden: Glaubens-Sachen dieser Art sind auch immer sehr persönliche Äußerungen.
Ontologie und Heilsökologie
In seiner Streit- oder Denkschrift Der Sound Gottes. Kirchenmusik neu denken dokumentiert Rainer Bayreuther – seines Zeichens Musikwissenschaftler, der sein Fach unter anderem in der Ausbildung von Kirchenmusikstudierenden an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth vertritt – seine Überlegungen zur Kirchenmusik, die er durchaus provokativ in einem Milieu ansiedelt, das der kirchenmusikalischen Realität in den Gemeinden seit langem nicht mehr entspricht:»Die Kirchenmusik ist zu einem Ohrensessel geworden, in dem man sehr weich und sehr tief sitzt. Schon lange haben sich Rückenschmerzen eingestellt. Sobald man sich erheben will, wird der Schmerz stechend, und man lässt sich zurücksinken. Wenige Füllstoffe stecken im Polster, von denen aber sehr viel.« »Müde ist die Kirchenmusik in ihrem Ohrensessel eingesunken. Sie rutscht ein bisschen nach links, dann ein bisschen nach rechts, um die Widersprüche auszutarieren und den Schmerzpunkt zu verlagern. Sie müsste aufstehen und den großen Schmerz aushalten.«[1] Um im von Bayreuther gewählten Bild zu bleiben: Überraschenderweise sitzt im hier beschworenen Ohrensessel keine Person – etwa eine kirchenmusikalische Amtsträgerin oder eben einfach ein Kirchenmusiker –, sondern die Kirchenmusik selbst. Jenseits der Frage, ob denn diese auch personifiziert eine Entscheidung treffen kann, wie denn ihre Zukunft aussähe…


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