Eine neue Lösungsmöglichkeit für Mozarts Requiem
Der Schlüssel liegt in der Botschaft des Sanctus-Benedictus
Von Dorothee Heath
Das Fragment
Mozarts Requiem, das wohl berühmteste Fragment der Musikgeschichte, gab gerade durch seine Nicht-Vollendung der Nachwelt Anlass zu wild wuchernder Mythenbildung – um seinen geheimnisvollen Auftraggeber und um die Frage, welche Teile noch von Mozart selbst stammen bzw. wo die Ergänzung seines Schülers Franz Xaver Süßmayr beginnt. Vier Sätze nämlich, Lacrimosa, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei sind nur in der Abschrift von Süßmayr überliefert. Während die Anteilsfrage zwischen „alles in den vier Sätzen von Mozart“ und „alles in den vier Sätzen von Süßmayr“ seit 1792 kontrovers diskutiert wurde, geriet die Frage nach der lückenhaften Instrumentierung zur Nebensache.
Friedrich Blume, der Begründer der MGG ist einer der Wenigen, der in seinem berühmten Aufsatz „requiem, but no peace“ von 1963 auch die Instrumentierungsfrage ausführlicher diskutiert. Blume war der Meinung, dass die durch Süßmayrs Bearbeitung tradierte Instrumentalbesetzung, die nur für den ersten Satz noch von Mozart schriftlich fixiert worden war, keinesfalls für das ganze Werk so gemeint sei. In seinem Vorwort zur Taschenpartitur, erschienen bei Eulenburg, vermisst Blume fast durch das ganze Werk alles, was die Orchesterbehandlung des späten Mozart in so unverkennbarer und einzigartiger Weise auszeichnet. Statt der diffizilen Schattierungen im Wechsel der Klanggruppen werde das Requiem „beherrscht von der Uniformität eines starren Besetzungskörpers, den Mozart so sicher nicht gewollt hat“ (er meint hiermit den Dauereinsatz der Bassetthörner).
Doch wie genau wollte Mozart sein Requiem denn instrumentieren?
Den Anfang des Requiems bilden Introitus und Kyrie. Lange ging man davon aus, dass Mozart beide Sätze noch selbst instrumentiert habe und damit möglicherweise eine düstere Grundstimmung für das ganze Werk vorgeben wollte. Schriftvergleiche haben 1976 jedoch ergeben, dass nur die Instrumentierung des einleitenden Introitus (mit den dunkel klingenden Bassetthörnern, Fagotten und Streichern beginnend, später Trompeten und Pauken dazu) vollständig aus Mozarts Feder stammt.
Ab dem Kyrie notiert Mozart nur noch den vollständigen Chorsatz und basso continuo, dazu einige Streichermotive; Außerdem im Recordare und Confutatis noch zwei Passagen für Fagotte und Bassetthörner in deren Grundtonart F-Dur/d-moll, die beide einen ähnlichen, melodischen Duktus wie die klagende Einleitung des Introitus in d-moll aufweisen.
Daraus ergeben sich die folgenden zwei Möglichkeiten:
- Mozart strebte für seine Totenmesse bewusst eine klanglich reduzierte Besetzung an. Dann wären sämtliche Originalstellen als Vorgabe zu sehen, dass als Holzbläser weiterhin nur Bassetthörner und Fagotte einzusetzen seien.
- Mozart beabsichtigte, ab dem Kyrie oder spätestens ab dem Dies irae die – für ein Werk dieser Größe – damals übliche Holzbläserbesetzung zu nehmen mit je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten (alternierend Bassetthörnern) und zwei Fagotten und eventuell noch zwei Hörnern, die als Klanggruppen miteinander abwechseln. Diese Besetzung wählt er z. B. für das Kyrie d-moll KV 341, einer Art Vorarbeit zum Requiem, das erst in den 1980ger Jahren in die späte Schaffensperiode datiert wurde. Dann wäre der filigrane Beginn des Recordare (mit zwei Bassetthörnern und Solocello im piano) von ihm nur deswegen schriftlich ausgearbeitet worden, weil es eine besondere, obligate Stelle ist. Und bei der zweiten Stelle im piano am Ende des Confutatis, wollte Mozart den Chor mit den Bassetthörnern wohl deshalb begleiten, weil ihr gedämpfter Klang hier besonders gut zum gesungenen Text passt (gere curam mei finis) – und weil ihm der geheimnisvolle Klang dieser Stelle besonders wichtig war: hier lösen sich die Harmonien von der (irdischen) Tonalität.
Dem bisherigem Wissensstand zufolge gibt es keine philologischen Nachweise, z. B. konkrete schriftliche Anweisungen Mozarts an seine Schüler bezüglich der Instrumentierung. Nach Mozarts Tod beauftragte die Witwe nacheinander einen Unbekannten (mit dem Kyrie), Joseph Eybler (er ergänzte lückenhaft und nur bis zum Lacrimosa) und Süßmayr.[1] Und es gibt auch keine Hinweise oder Einschränkungen, die sich aus der Anlage der autographen Partitur ergeben. So wäre es beispielsweise leicht möglich und auch durchaus üblich gewesen, dass einige Instrumente, z. B. die Posaunen, von Mozart ab dem Kyrie in ein Bläserparticell notiert worden wären, weil der Platz auf dem 12-zeiligen Notenpapier nicht ausreichte (so erfolgte es in der Zauberflöte)…