Editorial

Disclaimer: Wer der Meinung ist, dass unser Berufsstand sich nicht politisch verhalten oder gar äußern dürfe, könnte sich über das nachfolgende Editorial aufregen und sollte es besser überspringen…

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

haben Sie sich schon eine blonde Perücke besorgt? Angesichts meiner mittlerweile überschaubaren Lockenpracht kann ich vermutlich darauf verzichten und abgesehen davon habe ich Glück: Wenn die bei der Wannsee-Konferenz 2.0 beschlossene Deport… Entschuldigung: Remigration derjenigen, die im Verdacht stehen, nicht reinrassig bio-deutsch zu sein, umgesetzt wird, werden meine Familie und ich lediglich nach Holland dep… geschickt – und da mache ich sowieso gelegentlich Urlaub.

Viele liebe Kolleginnen und Kollegen unseres kirchenmusikalischen Berufsstandes, auch viele meiner Studierenden werden da deutlich weiter reisen müssen. Die würden z.B. nach Neuseeland, Japan, Korea oder in die Tschechei „zurückgeschickt“ – und dann hier ziemlich fehlen. Im Wertheimer Krankenhaus, in dem ich mich gerade aufhalten musste, sähe es genauso aus. Grob geschätzt müssten wohl vier von fünf Mitgliedern des medizinischen, pflegerischen oder sonstigen Assistenzpersonals sehr weite Reisen antreten. Im Krankenhaus am Wohnort meiner Eltern desgleichen und in den meisten anderen Krankenhäusern, in zahlreichen Pflegeheimen, Sozialstationen und manchen anderen Arbeitsbereichen ebenso. Dass auch in vielen Kindergärten das Personal knapp würde, ist nicht weiter schlimm, denn der Nachwuchs der Nicht-Biodeutschen wird ja gleich mit remigriert und so gleicht sich das fast wieder aus.

Glücklicherweise werden uns die Neu-Rechten zeigen, wie alles besser wird, wenn hier nur noch ordentliche Biodeutsche an den Hebeln der Macht und vermutlich auch an sehr vielen anderen Hebeln sitzen. Das glauben Sie nicht? Macht nichts, das glauben die Sellners, Höckes, Halembas und Konsorten sicher auch nicht, aber wer keine Ahnung hat, muss das ja nicht auch noch zugeben.

Kürzlich, genauer nach den Wahlen in Bayern und Hessen, haben meine Eltern ein Gespräch mit einem ihrer Nachbarn geführt. Dieser postulierte, dass in diesen beiden Bundesländern nun endlich die AfD an die Regierung müsse. Der vorsichtige Hinweis, dass immerhin deutlich über 80% die AfD NICHT gewählt hatten, focht den wackeren Landsmann nicht an. Man werde, so raunte er, schon sehen.

Nun kann man sich von solchen Nachbarn ja fernhalten, aber irgendwie kann man diese Haltung sogar nachvollziehen: Da gibt es eine kleine Gruppe von unbelehrbar ewig Gestrigen, die so viel Krach machen, dass man wirklich glauben könnte, sie sprächen (bzw. schrieen) im Namen einer von wem auch immer unterdrückten Mehrheit

Tun sie nicht! – Und so langsam scheint dies in die Köpfe dieser sehr viel größeren Mehrheit zu sickern. Es scheint sich herum zu sprechen, dass tatsächlich WIR das Volk sind und nicht die, die bei Pegida-Demonstrationen entsprechende Schilder vor sich hertragen, und dass sich da eine echte Gefahr für unser Land und unsere Lebensweise auftut. 1933 hatte die NSDAP „nur“ 43,9 %, war also weit entfernt von einer absoluten Mehrheit, aber was daraus geworden ist, ist selbst der Partei bekannt, deren Ehrenvorsitzender den Terminus „Fliegenschiss“ den Begriffen „Holocaust“ und „2. Weltkrieg“ vorzieht.

Spätestens die Remigrations-Konferenz in Potsdam hat es aber auch den Letzten klar gemacht: Die meinen den Wahnsinn wirklich ernst und es ist an der Zeit, Flagge zu zeigen. Genau das ist in den vergangenen Tagen bei zahlreichen Demonstrationen passiert, passiert weiterhin und wird vielleicht zu einer Initialzündung dafür, dass die schweigende Mehrheit ihr Schweigen aufgibt.

Ich wünsche Ihnen persönlich und uns als Berufsstand den Mut, sich dem nichtmehr-länger-Schweigen der Mehrheit anzuschließen. Natürlich darf man die Meinung haben, dass die offenkundig an Fachpersonal leidende aktuelle Regierung eine unglaublich miserable Performance hinlegt – und so lange die Ultrarechten nicht an der Macht sind, darf man Regierungskritik auch laut und ungeniert äußern. Aber zeigen sie gleichzeitig denen in der rechten Ecke, dass „Remigration“, EURO-Austritt (AfD Programm für Deutschland, S. 20), das Leugnen des Klimawandels (ebd. S. 79) und sonstiges Verschwörungsgeschwurbel („Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien. Sie hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten“ – ebd. S. 8) eben keine Alternative sind. Jedenfalls keine Alternative für Deutschland.

Ich grüße Sie auch im Namen des Teams der Herausgeberinnen und Herausgeber, die an diesem Editorial mitgewirkt haben und verbleibe mit den besten Wünschen,

Ihr Carsten Klomp

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