Hessen und Zürich 1545 – Eine Komposition des Kasseler
Hofkapellmeisters Johann Heugel im Spiegel ihrer Zeit
Von Horst Zimmermann
In den Handschriften des Kasseler Komponisten Johann Heugel (ca. 1510 – 1585) finden wir, datiert auf den 3. September 1545, eine vierstimmig gesetzte Huldigungsmotette auf die Stadt Zürich.[1]
Si magnas possunt laudes fera bella mereri
Wenn wilde Kriege hohes Lob verdienen,
Urbs Tigurina suum debet habere decus.
soll die Stadt Zürich ihren Stolz haben.
Si studium pacis largitur munera famae
Wenn das Bemühen um Frieden Ruhm beschert,
Non poterunt huius nomina clara mori.
kann ihr glänzender Ruf nicht sterben.
Quod vero Christum coniunxit dotibus istis
Weil sie aber Christus in diese Gaben eingebunden hat,[2]
Laudibus aeternis summa sub astra volat.
fliegt sie mit ewigem Lob hinauf zu den höchsten Sternen .[3]
Der Musikwissenschaftler Wilibald Nagel, der die qualitativ hochstehenden lateinischen Texte Heugels rühmte, schrieb 1905: „Man wird […] diese Verse unbedenklich Heugel zuschreiben können. Sie beziehen sich, wie es scheint, auf kein besonderes Ereignis im Leben Zürichs, sondern besingen ganz allgemein den Ruhm der Stadt Zwingli’s [sic], die ja zu Landgraf Philipp’s [sic] Zeiten in politischer und religiöser Beziehung lebhaften Verkehr mit Hessen unterhielt“.[4] Jedoch: Die Komposition fällt in eine Zeit, in der sich der alte Konflikt um die Bedeutung des Abendmahls zwischen Luther und den Zürcher Theologen, vertreten durch Heinrich Bullinger, dem Nachfolger Zwinglis als Antistes der Zürcher Kirche, erheblich zuspitzt. Martin Luther hatte 1544 sein „Kurzes Bekenntnis zum heiligen Sakrament“[5] veröffentlicht und darin die Zürcher Theologen u. a. als „Sacramentsschender“ und Ketzer, sowie mit anderen ehrenrührigen Schmähungen wüst beschimpft. Dies war für die Zürcher nicht nur eine schwere Beleidigung, sondern in Zeiten der Ketzerverfolgungen (auch durch protestantische Herrscher [6]) mit Gefahr für Leib und Leben verbunden. Die Zürcher Pfarrer und Lehrer konnten sich das nicht gefallen lassen und antworteten in sehr moderater Weise mit dem „Wahrhaften Bekenntnis der Diener der Kirchen zu Zürich“ [7], das der Verfasser, Heinrich Bullinger, u. a. auch dem Hessischen Landgrafen Philipp, zusammen mit etlichen „büchli“ am 12. März 1545 und der Bitte zuschickte, seine Schriften in Hessen nicht (wie in Sachsen geschehen) zu verbieten, und Philipp möge sich bei den sächsischen Landesherren, Herzog Moritz von Sachsen und Kurfürst Johann Friedrich, dafür einsetzen, dass das Verbot gegen ihn aufgehoben werde[8]. Luthers Schriften seien in der Schweiz auch nicht verboten! Bullinger konnte sich allerdings des Wohlwollens des Landgrafen nicht ganz sicher sein, denn er hatte, im Gegensatz zu Luther und Melanchthon, die 1540 geschlossene Zweitehe Philipps mit Margarethe von der Saale kritisiert [9]. Jedoch waren die Befürchtungen unbegründet: Der Landgraf schrieb am 16. April freundlich zurück, er habe das Schreiben „sampt den dreien darbei gewesenen buchlein entfangen und [seines] inhalts verlesen“. Er betont in dem Brief, wie ungern er von dem neu entflammten Streit höre und werde sich bei den Sachsen für Bullinger und die Schweizer einsetzen, was er am selben Tag noch mit einem Schreiben an Kurfürst Johann Friedrich tat.[10] Johann Friedrich von Sachsen ging jedoch nicht auf die Bitten des Landgrafen ein, sondern forderte ihn im Gegenteil in seinem Antwortschreiben vom 26. April 1545 dazu auf, Bullingers und der übrigen Schweizer Theologen Schriften in Hessen ebenfalls zu verbieten. Dieser Forderung kam Landgraf Philipp nicht nach, sondern soll Johann Friedrich daraufhin geschrieben haben, er solle sich Luther widersetzen. [11] Denn er hatte neben der Sympathie, die er offenbar zu Bullinger empfand, handfeste ökonomische und politische Interessen, das Bündnis mit der Schweiz wieder herzustellen, das nach der Schlacht bei Kappel, in der Zwingli 1531 fiel, zerbrochen war. Die Anzahl der Immatrikulationen von Schweizer Studenten in Marburg ab 1531, schreibt Walther Köhler, „ist das Thermometer für die Union Hessen-Schweiz, sie steigt und fällt mit dem Warm und Kalt der politischen Verhandlungen, in der Zeit des Benzischen Sakramentsstreits steht sie z. B. auf dem Nullpunkt. Der Landgraf legt höchsten Wert auf die Schweizer Musensöhne; er ist ärgerlich, wenn sie ausbleiben […].“ [12] Schließlich war eine hohe Zahl ausländischer Studenten wichtig für die Reputation der von Philipp 1527 gegründeten ersten und einzigen protestantischen Universität und damit auch ein wichtiger ökonomischer Faktor…