Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich sitze im Zug aus unserer Kapitale ins (nach mehrfachem Umsteigen) beschauliche Wertheim. In Berlin habe ich zunächst die Zentralratstagung und dann den Kirchenmusik-Kongress des Deutschen Musikrates (DMR) besucht. Für einen ausführlichen Bericht in diesem Heft ist es zu spät, aber für ein paar Zeilen im Editorial reicht der Redaktionsschluss noch.
Seinem Vortrag beim DMR-Kongress stellte der EKD-Kulturbeauftragte Hinrich Claussen eine kurze Vorrede voran, in der er darauf abhob, dass Lobbyismus, anders als Jan Böhmermann dies in einem ZDF-Magazin Royal unterstellt habe, nicht per se schlecht sei. Die Lobbyarbeit der Kulturverbände nütze schließlich allen, sagte er unter dem Applaus der Anwesenden. „Wohl gesprochen“, denke ich, bis ich mir im Zug die Liste der Kongress-Teilnehmenden ansehe. Und dann kommt mir ein weiterer Gedanke: Lobbyismus ist nur dann erfolgreich bzw. sinnvoll, wenn der Lobbyist ein entscheidungsbefugtes Gegenüber hat, das er in seinem Sinne beeinflussen kann. Ansonsten läuft die Lobbyarbeit schlicht ins Leere bzw. kreist um sich selbst. Die Liste der DMR-Kongressteilnehmer weist zahlreiche FunktionsträgerInnen der evangelischen wie katholischen Landeskirchen-/Diözesanmusik (also LKMDs und Verbandsvorsitzende) sowie zahlreiche Funktionäre aus den Reihen des Bundes- und der Landes-Musikräte aus. Hinzu kommen ein paar ganz wenige Mitglieder der „Geistlichkeit“ beider Konfessionen, die, soweit ich das übersehen konnte, nahezu ausschließlich zu den Vortragenden oder Podiumsteilnehmern gehörten und meist nur zu ihren „Auftritten“ da waren. Verteilt auf beide Konfessionen sind das grob geschätzt ca. 0,1 VertreterInnen pro Landeskirche/Diözese. Und das ist noch viel im Vergleich zu der Ebene, zu der der DMR angeblich so gute Kontakte pflegt und die er letztlich in seinem Sinne beeinflussen möchte: die der Politik. Aus diesem Bereich finden sich auf der Liste der Teilnehmenden genau Null, die man gerechterweise noch auf die Bundes- und die Landesebene aufteilen muss.
Das wirft natürlich Fragen auf. Zum einen die nach der Wirksamkeit eines solchen Kongresses in die Kirchen und den Staat hinein. Zum anderen die Frage nach der politischen und/oder gesellschaftlichen Relevanz, die sich der Deutsche Musikrat, dessen Jahrzehnte-Dauer-Vorsitzender gerne sehr staatstragend daherkommt, ehrlicherweise selbst stellen sollte. Und die Frage, die sich angesichts der Zahlen geradezu aufdrängt, nämlich wie groß eigentlich das Interesse der Kirchen an ihrer Musik ist. Nachdem Sie diese Frage für sich beantwortet haben, wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein ebensolches Jahr 2023. Kommen Sie gut durch den kalten Winter und mögen Sie nicht an den Orgelbänken festfrieren.


Ihr Carsten Klomp

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