Michael Praetorius

»… damit der singende Christ von Strophe zu Strophe seiner Schwäche entkomme«.
Michael Praetorius zum 400. Todestag
Von Birger Petersen
In Günter Grass‘ Erzählung Das Treffen in Telgte (1979), die 1636 spielt und Personen und Motive aus dem Dreißigjährigen Krieg verarbeitet, zugleich aber auch eine Referenz an die den Autor stark prägende »Gruppe 47« ist, erscheint – als Lichtgestalt zwischen lauter streitlustigen, selbstbezogenen, oftmals engstirnigen Dichtern – ein Musiker: Günter Grass wählte als vermittelnde Gestalt und Ehrengast des Treffens den Komponisten Heinrich Schütz. Dieser darf sich in der Darstellung von Grass in einem Streitgespräch mit Paul Gerhardt wiederfinden: Gerhardt wirft Schütz ausdrücklich vor, die großen Errungenschaften des reformatorischen Kirchenlieds nicht erkannt zu haben, sondern mit Komplikationen zu unterwandern – »Selbst der Beckersche Psalter sei, wie er vielerorts hören müsse, zu vertrackt«.[1] Paul Gerhardt erklärt Schütz und allen Anwesenden noch einmal ausführlich seine Überzeugungen:»Das [schlichte Wort] wolle zuerst Gott dienen, bevor es sich der Kunst beuge. Weshalb der wahre Glaube nach Liedern verlange, die als Wehr gegen jegliche Anfechtung stünden. Solche Lieder seien dem einfachen Gemüte gewidmet, so dass die Kirchengemeinde sie ohne Mühe singen könne. Und zwar vielstrophig, damit der singende Christ von Strophe zu Strophe seiner Schwäche entkomme, Glaubensstärke gewinne und ihm Trost zuteil werde in schlimmer Zeit.«[2]Paul Gerhardt setze daher auf Johann Crüger – der sich auf das von diesem Dichter bevorzugte strophische Lied verstehe und dem nicht »der Fürsten glänzende Hofkapellen teuer«, sondern die Bedürfnisse der einfachen Gemeinde wichtig sind.Dass Grass mit Schütz und Crüger zwei Protagonisten wählt, deren künstlerische Produktion durchaus sowohl funktional als auch ästhetisch differenziert zu betrachten ist, ist der für die pointierte Darstellung notwendigen Überspitzung zuzuschreiben; die Auseinandersetzung zwischen Gerhardt und Schütz hat einen Spiegel im historisch möglichen Danziger Gespräch von Martin Opitz und Andreas Gryphius »Im vierten Monat« des monumentalen Romans Der Butt (1974–1978).[3] Einen Mittelwert, einen echten Kompromiss als historische Gestalt dargestellt hätte am ehesten Michael Praetorius: Das Schaffen des Komponisten, Musiktheoretikers und Hofkapellmeisters, dessen 400. Todestag sich 2021 jährt, erfüllt in Gestalt des einfachen, gemeindeorientierten Satzes ebenso sehr das Profil Crügers wie in Form der großen, polyphonen Kompositionen das des alternden Heinrich Schütz. Zudem hätte die Gestalt des Michael Praetorius auch in anderer Hinsicht gut in der Erzählung funktioniert – galt dieser den Zeitgenossen doch nicht »nur« als hochangesehener Musiker: Michael Praetorius war ein Universalgelehrter des frühen 17. Jahrhunderts…


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